„Es geht nicht darum sich feiern zu lassen“
Im Jahr 2019 ist Deniz Aytekin vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) als „Schiedsrichter des Jahres“ ausgezeichnet worden. Bei der traditionellen Kicker-Umfrage unter den Bundesliga-Profis ist er im Herbst des selben Jahres auch zum „besten Schiedsrichter der Fußball-Bundesliga“ gewählt worden.
Trotz seiner vollgepackten Tage, nahm sich Deniz Aytekin Zeit für ein ausführliches Gespräch. Wir trafen ihn bei sich Zuhause und durften einen sympathischen, ins sich ruhenden Menschen voller Disziplin und feinem Humor näher kennenlernen.
Das Bild des Schiedsrichters, der gemütlich mit einem mehr oder weniger kleinen Bäuchlein über das Spielfeld trabt, hat nichts mit dem zu tun, was man heute in den oberen Ligen zu sehen bekommt. Ist der Job des Schiedsrichters selbst ein Leistungssport geworden!?
Der Fußball wird immer schneller, immer athletischer. Dementsprechend sind auch die Schiedsrichter gefordert, immer professionell und bestens vorbereitet ins Spiel zu gehen. Da reicht es nicht aus, einmal die Woche zum Laufen zu gehen. Schiedsrichter auf hohem und höchstem Niveau bedeutet einen hohen Aufwand, das bedeutet sechs, sieben, achtmal die Woche Training mit den unterschiedlichsten Trainingsinhalten.
Trainieren Sie da alleine oder gibt es auch die Möglichkeit, in Gruppen zu trainieren?
In der Regel trainiert man als Schiedsrichter alleine, weil man dann seine Einheiten so legen kann, dass man dann auch noch seinen Job ausüben kann. Auch meine beiden Assistenten wohnen nicht direkt hier – der eine wohnt in Forchheim, der andere in Regensburg –, so dass es schwierig wäre, jeden Tag irgendwelche gemeinsamen Einheiten zu machen. Aber wir haben natürlich genauso Trainer, die uns Trainingspläne schreiben und von denen wir auch Rückmeldung bekommen, wie wir trainieren, was wir trainieren.
Über Deniz Aytekin
Er pfeift nicht nur Spiele der Bundesliga: Auch bei Länderspielen, der Championsleague oder beim Europapokal kam er schon zum Einsatz. Seinen Sprung in den Elitekreis der UEFA-Schiedrichter gelang in 2014 als er zum ersten Mal bei ein Spiel eines internationalen Turniers leiten durfte.
„Im Land der Riesen“ ist übrigens alles andere als übertrieben. Der 1987 geborene Deniz Aytekin ist riesenhafte 1.97m groß!
Ist es eigentlich der normale Weg, dass man erst Fußballspieler war und dann zum Schiedsrichter wird? Wie sind Sie eigentlich zum Schiedsrichter geworden?
Ich habe selbst natürlich Fußball gespielt. Man muss ja auch eine bestimmte Affinität zu dem Sport haben und den Fußball lieben. Sonst macht man das nicht. Ich hatte dann die ganze Jugend über gespielt, dann aber gemerkt, dass ich die Regeln eigentlich gar nicht kannte. Ich hatte da nur so eine Art gesundes Halbwissen. Ja, und da hab‘ ich mir gesagt: Es kann doch nicht sein, dass man eine Sportart ausübt, bei der man die Regeln nicht kennt. Da hab‘ ich mich entschlossen, den Schiedsrichterkurs zu machen, um das alles mal zu lernen. Das hat mich dann auch sofort angesteckt, die Faszination, Mannschaften aufs Spielfeld zu führen, das Spiel zu meistern und so bin ich dann dabeigeblieben.
Wurde das Pfeifen dann zur größeren Passion?
Ich habe noch eine Zeitlang versucht, gleichzeitig zum Pfeifen noch zu spielen. Je höher es ging desto schwieriger wurde es, das ganze zu koordinieren. So musste ich mich dann auf ein Thema fokussieren – und das war dann die Schiedsrichterei.
Schauen Sie sich vor einer Begegnung auch Ausschnitte von den beteiligten Mannschaften an?
Man bereitet sich schon auf jede Partie vor, weil sich auch die Systeme der Mannschaften immer wieder ändern. Es ist wichtig zu wissen, welcher Spieler welche Rolle einnimmt. Das geht sogar so weit, dass man oftmals weiß, welcher Spieler Linksfuß ist, welcher Rechtsfuß, wer die Freistöße schießt, wer die Ecken. Das sind alles so Sachen, die man sich im Vorfeld ansieht und analysiert.
Wenn man Schiedsrichter wird, geht es nicht darum, sich feiern zu lasen und bekannt zu werden. Es geht vielmehr darum, dass man Unglück vermeidet.
Deniz Aytekin
Letztendlich haben Sie dann einen guten Job gemacht, wenn nach dem Spiel niemand über Sie spricht. Ist das nicht ein bisschen frustrierend?
Wenn man Schiedsrichter wird, geht es nicht darum, sich feiern zu lassen und bekannt zu werden. Es geht vielmehr darum, dass man Unglück vermeidet. Aber es ist natürlich trotzdem schön, wenn man sich nicht verstellt, wenn man Spiele so pfeifen kann, wie man ist, und die Leute das am Ende akzeptieren und honorieren. Dazu gehört auch, dass man einen guten Austausch mit den Spielern hat und die merken: das ist kein Idiot, mit dem kannst du ganz normal reden.
Gibt es ein Spiel, am das Sie sich besonders gerne oder vielleicht auch ungerne erinnern?
Wir haben als Schiedsrichter die Begabung, die negativen Spiele ich möchte nicht sagen ,zu verdrängen‘, aber zumindest weit wegzuschieben. Sonst kann man diesen Job nicht machen. Wenn du nur an die Sachen denkst, die falsch gelaufen sind, dann hast du da keinen Bock mehr darauf.
Highlights waren für mich Spiele, bei denen meine Familie oder Leute, die mir wichtig sind, mit im Stadion waren. Ein Spiel, dass mich auch heute noch sehr bewegt, war das Pokalfinale 2017, als ich Frankfurt gegen Dortmund leiten durfte. Das Spiel lief super und dann auch danach die Feier, gemeinsam essen… – das ist schon eine sehr, sehr schöne Erinnerung.
Hat man es heute schwieriger als Schiedsrichter, wenn man die zahllosen Fernsehübertragungen und den Video-Assistenten nimmt?
Die Schiedsrichter rücken mehr in den Mittepunkt, weil der Fußball in Deutschland medial eine unheimliche Präsenz hat. Vor einigen Jahren hätte mich auf der Straße niemand erkannt, heute ist das ganz anders. Im Zeitalter von Handys gehört dann auch dazu, dass man eine gewisse Disziplin hat. Wir sind da schon auf dem Präsentierteller.
Und der Videoschiedsrichter?
Natürlich hilft es uns enorm, dass durch den Videoschiedsrichter ganz gravierende Fehlentscheidungen vermieden werden. Das nimmt schon einen großen Druck von uns Schiedsrichtern. Aber Fußball ist halt nicht nur Schwarz oder Weiß und so gibt es auch beim Videoschiedsrichter Diskussionen. Aber das macht ja letztlich auch den Reiz des Fußballs aus.
Sie wirken ausgesprochen entspannt auf dem Spielfeld. Haben Sie ein Geheimrezept?
Ruhe und Bedachtsamkeit braucht man, bei dem, was wir machen – und das ist wirklich jahrelange Übung, ein jahrelanger Aufbau. Mit Unruhe kann man keine Spiele leiten. Ich kenne das von mir selbst. Wenn ich mit mir selbst beschäftigt bin, die Gedanken abdriften und ich nicht nach außen gerichtet bin, dann kommt es eher zu Fehlern. In solchen Momenten muss man dann ein gutes Team haben, das einen dann auch wieder zurückholt.
Gibt es das eigentlich bei einem Schiedsrichter, der ja unparteiisch sein muss, dass ihm eine Mannschaft näher ist als die andere.
Ich habe wirklich noch nie das Gefühl gehabt, die eine Mannschaft wäre mir jetzt näher als die andere. Ich kenn das Gefühl auch nicht, weil ich in meiner Funktion meinen Job mache. Das ist aber ein Riesenunterschied zum Thema Empathie. Ich habe den Fall gehabt, dass der 1. FC Köln in Freiburg abgestiegen ist. Wenn dann ein Spieler neben mir steht und weint, dann nimmt man den natürlich auch mal in den Arm. Das hat dann etwas mit Empathie zu tun und nicht damit, dass man für die eine oder andere Mannschaft wäre. Und diese Empathie lass ich mir auch nicht nehmen.
Sie sind jetzt gerade 42 Jahre alt geworden. Hatten Sie schon einmal einen Punkt erreicht, an dem Sie am liebsten alles hingeschmissen hätten?
Wenn wir unseren Job auf diesem hohen Niveau ausüben, betreiben wir einen ungemein hohen Aufwand und dadurch verliert man auch sehr viel Lebenszeit im Bezug auf Familie und Kinder. Ich sehe das vor allem an meiner Tochter, die ist jetzt bereits über 18 Jahre und bei ihr habe ich vieles verpasst. Das holt man auch nicht wieder zurück.
Rückblickend merkt man dann schon, was man für seinen Job alles aufgegeben hat.
Über Jahre hinweg diese Einschränkungen, verbunden mit der alltäglichen Disziplin – da stellt sich manchmal schon eine gewisse Müdigkeit im Kopf ein. Aber mich zwingt ja keiner, das gehört eben dazu.
Wenn man im Internet recherchiert, findet man, dass Sie unter anderem Mitbegründer und Aufsichtsratsvorsitzender der Rechtsberatungsplattform anwalt.de services AG, Mitbegründer und CEO des Portals fitnessmarkt.de sowie Mitbegründer der „Lebensberatungsplattform“ viversum sind. Darüber hinaus sind Sie jede Woche als Schiedsrichter unterwegs. Bleibt da eigentlich noch Zeit für Freizeit?
Als ich angefangen habe – ich bin mit 28 oder 29 in die Bundesliga gekommen – war der zeitliche Aufwand für Schulungen, Analysen Telefonkonferenzen noch viel geringer. Das ist um ein Vielfaches größer geworden und so muss man dann im Beruflichen auch mal an der einen oder anderen Stelle Abstriche machen. Aber ich wollte eben nie vom Fußball anhängig sein und deshalb das eine oder andere Projekt angepackt. Heute würde ich einem jungen Schiedsrichter nicht empfehlen, dass er das macht, was ich gemacht habe – Vollzeit arbeiten und Vollzeit Schiri. Da gibt man sich selbst einfach völlig auf, hat man kein Privatleben mehr.
Sie pfeifen ab und zu auch mal Spiele ihres Sohnes. Wo ist der Umgangston eigentlich rauer, bei den Eltern am Spielfeldrand oder auf einem Bundesligaspielfeld?
Am Ende sind’s eher die Eltern. Die Leute gehen ins Stadion, weil sie unterhalten werden wollen. Aber wenn man die Eltern bei einer D-Jugend erlebt, hat man manchmal den Eindruck, es ginge um die Weltmeisterschaft.