Verschlossene Türen, offene Ohren
Für dieses Interview sind wir an einen Ort gegangen, an den man nicht so gerne gehen möchte – zumindest, wenn man das muss: die Justizvollzugsanstalt.
In unserer Rubrik „Hinter den Kulissen“ laden wir euch ein, einen Blick auf Orte zu werfen, die nicht so einfach zugänglich sind. Heute sind wir für euch an einen Ort gegangen, an den man nicht so gerne gehen möchte – zumindest, wenn man das muss: die Justizvollzugsanstalt in der Nürnberger Mannertstraße.
Von dem Leiter der JVA Thomas Vogt und Frank Edelmann, der in der JVA auch für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, haben wir uns ein Bild von dem Alltag in der JVA vermitteln lassen. Für mich, der sein Wissen über den Strafvollzug nur aus – meist amerikanischen – Filmen hat, ein hochinteressantes und aufschlussreiches Gespräch.
Wie kann man sich den Alltag in einer JVA vorstellen?
Frank Edelmann: Der Alltag für die Gefangenen ist sehr strukturiert. Er beginnt morgens um 6.00 Uhr mit einer Morgenkontrolle, bei der sich die Mitarbeiter vergewissern, wie es dem Gefangenen geht – vor allem die Nächte können im Strafvollzug sehr lang sein. Die arbeitenden Gefangenen rücken dann um 7.00 Uhr aus zur Arbeit und kehren um 16.00 Uhr wieder in ihr Unterkunftshaus zurück. Danach findet eine Vollzähligkeits- und Anwesenheitskontrolle statt. Ab 16.30 Uhr haben die Gefangenen dann Freizeit, können – im Normalfall – an Gruppenveranstaltungen oder am Sport teilnehmen. Spätestens um 19.30 Uhr sind dann alle Gefangenen unter Verschluss.
Sitzen eigentlich alle Gefangenen in Einzelzellen?
Frank Edelmann: Wünschenswert wäre natürlich für jeden Gefangenen eine Einzelzelle. Das ist hier in Nürnberg nicht möglich, da wir sehr viele Gefangene haben, die aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen oder aufgrund von psychischen Auffälligkeiten nicht alleine untergebracht werden können oder dürfen. Aus diesem Grund haben wir viele Doppelzellen, in denen man sich auch gegenseitig etwas kontrollieren kann. Unsere arbeitenden Gefangenen werden aber nach Möglichkeit alleine untergebracht, da diese nach ihrer Arbeit ein bisschen zur Ruhe kommen sollen.
Sie haben ja schon erwähnt, dass die Nächte in der Haft sehr lang sein können. In diesen Stunden geht bei vielen der Gefangenen wahrscheinlich auch das Grübeln los.
Frank Edelmann: Für den Gefangenen sind die Nachtstunden eine sehr schlimme Situation. Das kennt ja jeder von uns, wenn wir uns beispielsweise Gedanken um Angehörige machen. Jetzt müssen Sie sich vorstellen, dass der Gefangene jeden Abend für mehr als zehn Stunden eingesperrt wird. Natürlich kreisen da die Gedanken. Bei vielen Gefangenen ist das soziale Umfeld auch nicht so stabil wie wir es bei uns kennen, was dazu führt, dass man sich ganz automatisch noch mehr Gedanken macht. Aus diesem Grund ist die Morgenkontrolle sehr wichtig, damit wir rechtzeitig reagieren können, wenn uns was auffällt.
Es ist also schon ein besonderes Verhältnis zwischen den Bediensteten der JVA und den Gefangenen, das deutlich über ein bloßes Wegsperren hinausgeht.
Frank Edelmann: Jeder Gefangene wird hier ernst genommen und hat in dem JVA-Bediensteten eine Bezugsperson, an der er sich orientieren kann und die sich mit ihm auseinandersetzt. Wenn man auf den Gefangenen zugeht, wenn man ihn erst nimmt und sich um seine Anliegen kümmert, dann gibt der Gefangene dieses Vertrauen auch zurück.
Das merkt man nicht zuletzt auch jetzt, in der Coronakrise, in der das Verhältnis zwischen den Gefangenen und den Bediensteten noch intensiver ist, weil man eben noch enger zusammengerückt ist. Nicht nur die verschlossene Tür sondern auch das offene Ohr, das Aufeinanderzugehen zeichnet die JVA gerade jetzt in der Coronakrise besonders aus.
Über die JVA Nürnberg
In der JVA Nürnberg sitzen aktuell 877 Untersuchungshäftlinge und Strafgefangene ein. Dabei ist der Anteil der weiblichen Gefangenen mit 47 ausgesprochen niedrig.
Betreut werden sie von 474 Beschäftigten, von denen das Gros der Beschäftigten im Vollzugsdienst tätig ist. Daneben gibt es 58 Bedienstete im Werkdienst, die die Gefangenen bei ihrer Arbeit in den Betrieben und Werkstätten – in der Schreinerei, im Kfz-Betrieb, in der Küche… – kontrollieren und begleiteten. 19 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen für die medizinische Versorgung bereit. Im Bereich der Fachdienste sind Sozialarbeiter, Psychologen, Pfarrer, Ärzte und Lehrer beschäftigt, die dafür sorgen, dass nicht nur weggeschlossen, sondern auch betreut und behandelt wird. Der Rest ist in der Verwaltung tätig.
Lassen Sie uns gleich weiter über die aktuelle Situation sprechen. Im Zusammenhang mit den Corona-Einschränkungen zu regelrechten Gefängnisrevolten in Italien. Wie stellt sich die Situation in Nürnberg dar?
Thomas Vogt: Es ist für die Gefangenen immer noch eine ungewohnte und schwer zu ertragende Situation, die aber nicht zu größeren Umtriebigkeiten geführt hat. Über den normalen Freiheitsentzug hinaus kommen für die Gefangenen noch weitere Einschränkungen hinzu. Wir haben unsere Gruppenangebote, die kulturelle Veranstaltungen und Sportmöglichkeiten weitestgehend reduziert und wir haben die einzelnen Gruppen deutlich verkleinert, um die Gefahr einer Übertragung des Virus‘ denkbar klein zu halten. Im Bereich der Besuchsmöglichkeiten gab und gibt es Einschränkungen und auch Lockerungen wie zum Beispiel Ausgang, Urlaub oder Freigang gibt es im Moment coronabedingt nicht.
Wir versuchen diese Einschränkungen zu kompensieren, indem wir den Gefangenen verstärkt Telefonate oder in besonderen Fällen Skype anbieten und zum Beispiel auch dadurch, dass wir den Gefangenen eine unentgeldliche Fernsehnutzung zur Verfügung stellen.
Hatten Sie hier in der Anstalt eigentlich Coronafälle?
Thomas Vogt: Ja, wir hatten einige Coronafälle im Bereich der Bediensteten, die aber immer noch unter der Zahl von 20 liegen. Bei den Gefangenen haben wir eine ähnlich große Zahl, allerdings handelte es sich dabei ausschließlich um Gefangene, die bereits mit einer Infektion zu uns gekommen sind. Da wir rechtzeitig Quarantäne-Abteilungen eingerichtet haben, hat dies aber nicht zu größeren Problemen geführt.
Kleine Historie der JVA
Erbaut wurde das Zellengefängnis zwischen 1865 und 1868. Zwischen 1886 und 1888 enstand die Frauenanstalt und von 1889 bis 1901 wurde die angeschlossene Untersuchungshaftanstalt erbaut. Seitdem wurden die Gebäude mehrmals erweitert, umgebaut und modernisiert.
Im Jahr 1945 und im folgenden Jahr beherbergte es seinen wohl bekanntesten Insaßen. Das Gefängnis wurde nämlich von den Siegermächten requiriert und die Angeklagten der Nürnberger Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher, darunter Hermann Göring, in einem Flügel des Zellengefängnisses untergebracht.
Irgendwann ist die Haft dann vorbei. Welche Resozialisierungsmaßnahmen gibt es denn, um die Häftlinge wieder auf das „normale Leben“ draußen vorzubereiten?
Thomas Vogt: Neben der Arbeit, die mit ihrem geordneten Tagesablauf ein entscheidender Baustein für die Resozialisierung ist, schauen wir im Rahmen des Übergangsmanagements für unsere Gefangenen, die nach kurzer Zeit wieder in die Freiheit kommen – die durchschnittliche Verweildauer lag im letzten Jahr bei 130 Tagen –, nach passenden Angeboten.
Wie kann man sich dieses Übergangsmanagement vorstellen?
Frank Edelmann: In den letzten drei Monaten der Haft haben wir eine „Entlassungsvorbereitung“, in deren Rahmen jeder Strafgefangene Angebote bekommt, wie er draußen besser Fuß fassen kann. Über die Fachdienste bemühen wir uns schon während der Haft, dass soziale Kontakte aufrechtgehalten werden. Wir schauen dann auch schon nach Ein-Zimmer-Appartements oder bemühen uns mit den Arbeitskreis Resozialisierung um Angebote im Bereich betreutes Wohnen.
Kein Gefangener, der entlassen wird, wird bei uns im Strich gelassen. Die Frage ist dann, inwieweit er das dann auch umsetzt. Haft, eingesperrt sein, und Freiheit, sind immer zwei Paar Schuhe. Der eine oder andere vergisst gerne die guten Vorsätze, die er sich hier in der JVA gemacht hat, aber es gibt ganz, ganz viele ehemalige Gefangene, die mit Hilfe des Vollzugs und der Fachdienste draußen Fuß gefasst haben.
Haben Sie noch ein Schlusswort für uns?
Thomas Vogt: Ja, ich habe noch eine Bitte an die Gesellschaft: Der Vollzug leistet seinen Dienst, aber Vollzug ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Irgendwann geht der Gefangene wieder hinaus und kehrt in die Gesellschaft zurück. Da ist es gut, wenn die Gesellschaft oder einzelne Teile der Gesellschaft, die Familie zum Beispiel oder die Freunde begreifen, dass sie etwas tun können, um diesen ehemaligen Gefangenen wieder zu integrieren. Denn jeder hat eine zweite, manchmal auch eine dritte Chance verdient.
Vielen Dank für das Interview.