Der Rausch der Tiefe
Sport spielt im Leben von Jens Stötzner eine wichtige Rolle – schon von frühester Jugend an. Im vergangenen Jahr sorgte er bei den Freitauchweltmeisterschaften im türkischen Kas für Furore, bei denen der Wahlzirndorfer gleich drei Medaillen, eine davon in Gold errang.
Ich habe mich mit Jens getroffen und einen ungemein sympathischen, positiven und in vielerlei Hinsicht außergewöhnlichen Menschen kennengelernt.
Wenn man deine Biografie liest, dann sieht man schnell, dass du stets sportliche Herausforderungen gesucht hast.
Sport hat mich – mit unterschiedlicher Intensität – mein ganzes Leben über begleitet. Bereits mit acht Jahren war ich im Schwimmverein. Mein erster Kontakt mit dem Leistungssport war dann das Rudern. Da wurde ich herangeführt an das regelmäßige Training und auch daran, dass man Schmerzen ertragen muss, wenn man erfolgreich sein will.
Mit der Zeit musste ich aber feststellen, dass ich körperlich nicht die für diesen Sport notwendige Konstitution hatte, und so hab‘ ich mit dem Flossenschwimmen angefangen und gleichzeitig begonnen, mit dem Rennrad herumzufahren.
Schwimmen, Radfahren – da war es ja dann nicht mehr weit zum Triathlon, den du anschließend auch mit riesigem Erfolg betrieben hast.
Zum Triathlon kam ich über eine Fernsehübertragung der Deutschen Triathlon-Meisterschaft in Roth. Dabei wurde dann auch ein Porträt von Dirk Aschmoneit gesendet, der damals, Mitte, Ende der 80er Jahre, zu den besten Triathleten gehörte. Das hat mich dann so fasziniert, dass ich bei mir in Berlin mit Triathlon begann. Nachdem ich mich recht schnell an den Sport herangetastet hatte, konnte ich dann auch ein paar Sponsoren gewinnen und den Triathlon professionell betreiben.
Und auch mit großem Erfolg…
Ja, in meiner Altersklasse war ich 1990 und 91 Vizeweltmeister beim Ironman in Hawaii und im Jahr 92 Weltmeister.
Warum hast du dann trotzdem mit Triathlon aufgehört?
Letztlich hab‘ ich – trotz der Sponsoren – von der Hand im Mund gelebt. Was an Sponsorengeldern hereinkam, musste ich wieder für Trainingslager und Wettkämpfe ausgeben. Und da hat sich dann die Frage gestellt ‚wie lange willst du das noch machen?‘ Letztendlich habe ich aber zu früh aufgehört. Ich war 27, als ich das letzte Mal in Hawaii war. Heute weiß ich, dass die richtige Form für die Langstrecke erst so um die 30 kommt.
Und was kam dann?
Nach der Triathlonzeit habe ich erst einmal andere Prioritäten gesetzt. Vor allem dann eben ein Informatikstudium und meinen Beruf. Aber der Sport war trotzdem immer dabei, wenngleich eben nicht so intensiv und zielorientiert. Da hab‘ ich Sport betrieben, einfach um fit zu bleiben. Aber eigentlich brauche ich beim Sport schon die Herausforderung, das Ziel, das man sich setzt und dann auch den Wettkampf, auf den man sich kontinuierlich vorbereitet.
Und dann hast du wieder eine Herausforderung gesucht…
Ja, irgendwann hat sich auch der Körper gemeldet und mich darauf hingewiesen, dass ich wieder ‘was machen muss. Zusammen mit einem Studienfreund hab ich dann recherchiert und den Jungfrau-Marathon gefunden. Das ist ein landschaftlich grandioser Bergmarathon zwischen Eiger, Mönch und Jungfrau, bei dem das Ziel, die Kleine Scheideck, auf 2400 Metern Höhe liegt.
Nachdem ich mein Ziel, den Lauf in unter vier Stunden zu beenden, beim ersten Mal um neun Minuten verfehlt hatte, ging ich zwei Jahre später noch einmal an den Start. Auf der Hinfahrt habe ich dann aber einen Hexenschuss bekommen. Ich bin trotzdem mitgelaufen, hab‘ die vier Stunden dann aber um eine Minute verpasst.
Da ich beim Laufen aber ständig Schmerzen an den Sohlen hatte, bin ich zunächst wieder aufs Rennrad zurückgekehrt. Und dann kam das Schwimmen wieder…
War damit schon der Weg für das Tauchen geebnet?
Das Schwimmen wurde mir mit der Zeit ein bisschen zu eintönig und so hab‘ ich am Ende des Schwimmens dann immer angefangen zu tauchen – erst 25 Meter, dann 50 Meter. Und da fiel mir dann auch wieder ein Film ein, den ich in meiner Jugend gesehen hatte: „Im Rausch der Tiefe“. Ich hab‘ dann mal gegoogelt, bin auf eine Freitauchschule hier in Fürth gestoßen und eine Woche später war ich im Freitauchkurs und gar nicht viel später hab‘ ich dann auch schon meinen ersten Wettkampf gehabt – im Streckentauchen und im Zeittauchen. Was mich aber so richtig gepackt hat, war die extreme Leistungssteigerung, die du beim Freitauchen von Training zu Training, von Wettkampf zu Wettkampf feststellen kannst. Das waren jetzt noch keine ersten Plätze, aber die Erfolge haben mich motiviert, weiterzumachen.
Wichtig war für mich aber auch, dass ich für das Tauchen keinen so immensen Zeitaufwand betreiben musste, wie beim Triathlon, wo ich in der Woche bis zu 40 Stunden trainiert hatte.
Wann hast du dann bemerkt, dass man nicht nur horizontal tauchen kann, sondern auch vertikal in die Tiefe?
Das Spannende am Freitauchen ist ja die Tatsache, dass man einerseits das Training und die Wettkämpfe im Pool hat, und auf der anderen Seite das Tieftauchen, wo dann ganz andere Faktoren, wie zum Beispiel der Druck und die Temperaturen mit einfließen. Diese Faktoren müssen über viele, viele Wiederholungen trainiert werden, bis man perfekt wird.
Das A und O beim Apnoetauchen ist, dass die Prozesse automatisiert ablaufen, dass man nicht mehr nachdenkt, sondern in einen Entspannungsmodus kommt. Denn jedes Nachdenken nimmt etwas von der Entspannung weg und verbraucht damit Sauerstoff.
Und da war dann noch…
Auch wenn es um verrückte Weltrekorde geht, führt – solange die sich in sportlichen Extrembereichen bewegen – kein Weg an Jens Stötzner vorbei. So erbrachte Jens vor neun Jahren den Beweis, dass man auch unter Wasser fahrradfahren kann. Für die weiteste Unterwasserfahrt nutze er ein ganz normales Alltagsrad, das mit Gewichten präpariert wurde. Auch durch den Umstand, dass er schon bald Probleme mit der Gangschaltung hatte und die Strecke daher nahezu komplett im Wiegetritt fahren musste, ließ er sich nicht aufhalten. Für die 6,7 Kilometer, die Jens einen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde einbrachten, benötigte der Wahlzirndorfer bei einer Benefizveranstaltung im Bibertbad 4 Stunden 48 Minuten
Was macht für dich den Reiz des Freitauchens aus?
Da ist zum einen diese physische Herausforderung – ich tue etwas, um fit zu bleiben – und auf der anderen Seite sind da diese Ziele, auf die ich hinarbeite. Diese Ziele helfen mir dann zum Training zu gehen, auch wenn der innere Schweinehund mal besonders groß ist.
Apropos Schweinehund. Ich habe gelesen, dass du im August an einem Wettkampf in Polen teilgenommen hast, wo es so richtig bitterkalt war.
(lacht) Hancza, das liegt fast schon an der russischen Grenze und ist der kälteste Ort in Polen. Aber das haben die mir erst später erzählt. Der See war so um die 17° C warm, in 50 Metern Tiefe waren das dann nur noch 5° C. Das ist aber nicht einmal das Schlimmste. Das Schlimme war die Zeit, bevor man taucht. Da kühlt man ganz schnell aus, wenn es – wie in diesem Fall – regnet und der Wind pfeift.
Aber auch das kann und muss man trainieren – zum Beispiel mit Eisbaden und Eisschwimmen. Dazu kommt, dass gerade in Seen sogenannte Sprungschichten auftreten – Temperaturstufen, die von im Extremfall 23° C bis hinunter auf 5° C reichen. Sprungschichten, die den Druckausgleich sehr schwer machen. Und dann ist es in Seen auch noch sehr dunkel, so dass man ab einer Tiefe von 30 Metern eine Lampe benötigt, um sich überhaupt noch am Seil orientieren zu können.
Wie lange dauert eigentlich so ein Tauchgang?
Mein tiefster Tauchgang war auf 90 Meter, da war ich rund drei Minuten lang unterwegs. Je nach Disziplin kann man sagen, dass man zwischen 0,8 und einem Meter pro Sekunde zurücklegt.
Und wie lang kannst du generell die Luft anhalten?
Beim Zeittauchen, das ist auch eine Spezialdisziplin, die es beim Freitauchen gibt, habe ich bei der WM in Sardinien 7 Minuten 05 Sekunden erreicht.
Kommen wir jetzt noch zu den Weltmeisterschaften in der Türkei, von denen du mit drei Medaillen – ein Mal Gold und zwei Mal Bronze – zurückgekommen bist. Es war deine achte WM, doch die startete für dich ja denkbar unglücklich.
Gleich nach meiner Ankunft, habe ich mir beim Fun-Tauchen einen Trommelfellriss zugezogen. Wahrscheinlich waren meine Nebenhöhlen vom Flug noch so ausgetrocknet, dass der Druckausgleich nicht so gut funktionierte, tja und so ist es passiert.
Was geht einem in so einem Moment durch den Kopf?
Ich war da natürlich erst einmal zerschlagen, da ich dachte, die WM ist jetzt gelaufen. Die ganze Vorbereitung mit dem Wintertraining bei minus acht Grad in der Rednitz… alles umsonst! Dann habe ich mich aber daran erinnert, dass ich einen ähnlichen Trommelfellriss schon einmal hatte, und dass der nach einer Woche verheilt war. Eine kleine Chance bestand also noch, aber die Zeit, um mich an das für mich völlig fremde Gewässer zu gewöhnen, war natürlich weg. Am fünften Tag habe ich einen Testtauchgang gemacht und festgestellt, dass das Trommelfell dicht war. Nach einem weiteren Testtauchgang hab‘ ich dann beschlossen zu starten.
Und das mit großem Erfolg. In der Disziplin Constant Weight, No Fin (CNF), bei der es darum geht, im Stil des Brustschwimmens ohne jegliche Hilfsmittel eine zuvor definierte Zieltiefe zu ertauchen, gewann Jens Stötzner die Goldmedaille. Jeweils Bronze errang er gleich zum Auftakt mit der Monoflosse (CWT) und am letzten Tag der Weltmeisterschaften mit den Bi-Flossen.